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Zürn Sammlung

Aspekte der Sammlung

Im Bad Waldseer Museum im Kornhaus nehmen Skulpturen der Bildhauer Zürn einen größeren Raum ein, hat doch der Stammvater Hans Zürn (später bezeichnet als „der Ältere“) seit seiner Heirat mit der Waldseer Bürgerin Barbara Späth von 1582 bis zu seinem Tode nach 1631 hier gelebt und gearbeitet.
Alle sechs Söhne des Ehepaars sind in Waldsee geboren und getauft: Georg (genannt Jörg), Hans (später genannt „der Jüngere“), Martin, Michael, Hans Jacob und David. Sie gingen bei ihrem Vater in die Lehre, bis sie als Gesellen in weiteren Werkstätten arbeiteten und sich durch Heirat und Erlangung des Bürgerrechtes in anderen Städten selbständig machen konnten. Den beiden mittleren Söhnen Martin und Michael gelang dies erst im Alter von über 50 Jahren bzw. gar nicht, so dass hauptsächlich diese beiden lange Zeit mit dem Vater die Waldseer Werkstatt bildeten.
Zu dieser Zeit gab es in Waldsee auch die Bildhauerfamilie Bendel, die mit den Zürn vielfach im Streit lag, meist aus Konkurrenzgründen. Das Werk der Familie von Jakob Bendel (um 1585 – nach 1640 in Waldsee) und seinen Söhnen ist weniger erforscht; es gilt jedoch als nicht so expressiv und innovativ wie das der Zürn.

Der Aufbau der Sammlung im Museum Waldsee

Es sind Exponate in der Sammlung, die bereits bei der Inventarisierung 1988 als „Altbestand“ geführt wurden, wie der kleine Gottvater auf seiner Wolke oder die beiden zusammengehörigen, stehenden Engelsfigürchen; letztere firmieren unter „Stiftung Steinhauser“. Auch die etwas größere Engels-Figur gehört in diese Reihe; allen dreien fehlen die Flügel.
Des Weiteren waren Skulpturen dem Museum in „Sichere Aufbewahrung“ gegeben worden, wie der Sebastian, welcher aus der zur Stadtgemeinde Waldsee gehörenden Kapelle in Ehrensberg stammt und dort durch eine Kopie ersetzt worden ist; der kleine Sebastian hingegen ist eine jüngere, private Leihgabe.
Unter den früheren Vorstandschaften wurde die Sammlung auch schon durch Ankäufe erweitert. So wurde im Jahre 1994 ein Engelkopf mit Flügeln und stilisiertem Fruchtgehänge erworben; man kann ihn sich vorstellen in der Funktion eines Atlanten, der einstmals die Holzkonstruktion eines Innenraums schmückend stützte.

Als „Geburtsstunde“ der heutigen Sammlung können wir das Jahr 1991 betrachten, als der Landkreis Ravensburg begann, aus der Kunstsammlung des Zweckverbands Oberschwäbische Elektrizitätswerke (kurz: OEW) dem Museum hochwertige Skulpturen als Dauerleihgaben zur Verfügung zu stellen.

Die erste war eine vornehm gewandete, David Zürn zugeschriebene weibliche Heilige, vermutlich eine Ursula. Ab 1994 folgten Martin Zürn zugeschriebene Skulpturen, nämlich der Evangelist Matthäus mit Engel, später dann der Mönch (Benedikt?) mit seinem nachträglich angesetzten Bart und 1997 der Grablegechristus. Eine weitere Figur, lange Zeit als Auferstehungschristus bzw. Salvator bezeichnet, ist ein Schmerzensmann, der stehend als Lebender und nicht am Kreuz darstellt wird: ein leidender Christus mit Dornenkrone und allen Wundmalen, einschließlich der Seitenwunde.
Eine der jüngsten dieser großzügigen Leihgaben ist seit 2010 der große Verkündigungsengel Gabriel, und im Dezember 2011 wurde dem Museum das sog. „Lüstermännchen“ von Landkreis und OEW feierlich überreicht; es ist eines der wenigen bekannten profanen Werke der Zürn.
Parallel dazu konnten in den letzten Jahren mehrfach direkt vom Verein – auch mithilfe von Spendengeldern – weitere Exponate käuflich erworben werden; meist aus dem Kunsthandel. Als jüngste Beispiele stehen hierfür der Michael Zürn zugeschriebene kleine Corpus im Jahre 2008, die beiden zusammengehörigen, Hans Jacob Zürn zugeschriebenen Leuchterengel im Jahre 2009 oder als vorläufig letzte Objekte im Jahr 2011 der Jörg zugeschriebene Thronende Christus und ein Engelsköpfchen mit Flügeln, das aus dem Getäfer einer (Zunft)Stube stammen soll. Die länger schon ausgestellte Dauerleihgabe, das Haupt eines Gekreuzigten, konnte bereits ein Jahr zuvor von privat gekauft werden.

Die hier skizzierte Entstehungsgeschichte der Zürn-Sammlung macht es verständlich, dass Aussehen und Zustand der Objekte ein heterogenes Bild ergeben. Es gibt auch keine gesicherten Ursprungshinweise, weder auf den Ort noch auf die Person des Bildhauers. Es bewegt sich alles im Bereich der kunsthistori-schen Zuschreibung, die auf Vergleichen mit gesicherten Exponaten beruht. Bei den unterschiedlichen Erwerbsarten liegen Gutachten und Zuschreibungen verschiedener Kunsthistoriker vor, die sich im Einzelfall auch widersprechen können. Ein Beispiel dafür ist der bereits erwähnte Schmerzensmann. Die Zuschreibung an Martin Zürn ist nicht eindeutig; in jüngerer Zeit ist auch ein Tiroler Künstler vorgeschlagen worden.

Die Anfertigung von Holzfiguren

Das alte „Handwerk“ des Bildschnitzers, der Herstellungs-prozess von Holzskulpturen, folgte im Mittelalter und den nachfolgenden Jahrhunderten festen Regeln. Bei größeren Werken gehörte zur Auftragsvergabe meist eine Zeichnung, eine sog. Visierung. Darüber hinaus konnte zusätzlich ein Modell, z.B. ein kompletter Altaraufbau angefertigt werden. Es ist äußerst selten, dass solche Werke erhalten blieben. Häufiger finden sich Modelle von einzelnen Figuren, die in Gips, Ton oder auch Holz gefertigt sein konnten; sie sollten in kleinem Maßstab die Wirkung des fertigen Werkes vermitteln. Diese Modelle, auf Italienisch „bozetti“, waren anschließend begehrte Sammlerstücke. Im Diözesanmuseum Rottenburg konnte der dortige Konservator Wolfgang Urban den Bozetto eines Reliefs von Jörg Zürn identifizieren: das Mittelstück im dritten Geschoss des Betz-Altars im Überlinger Münster.

Das im 17. Jahrhundert in unseren Breiten für Skulpturen verwendete Holz ist überwiegend Linde. Es ist ein dichtes und gleichmäßig gewachsenes Holz, das einen präzisen Schnitt erlaubt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Baum gut ausgewählt ist, keine Verwachsungen und nicht zu viel Äste aufweist und zur „saftlosen“ Zeit in den Wintermonaten geschlagen wird; am besten noch bei abnehmendem Mond, kurz vor Neumond, wie eine alte Bauernregel sagt. Eine mehrmonatige, auch mehrjährige „luftige“ Lagerzeit sollte sich anschließen, damit die holzeigene Feuchte sich der umgeben-den Luftfeuchtigkeit anpassen kann und das Holz somit als „lufttrocken“ gilt. Es ist dann für Schädlinge weniger anfällig und Schwundrisse sind kaum mehr zu befürchten.


Für eine Figur wurde meist das längs gespaltene Mittestück eines Baumstammes verwendet. Der Holzkern wurde entfernt, und so automatisch die Figur rückseitig gehöhlt. Das hatte den Vorteil, dass es kaum Radialrisse gab, die vom Kern aus entstehen, und dass die Figur an Gewicht verlor, was vor allem bei großen Figuren und mächtigen Altarkonstruktionen nicht außer Acht gelassen werden durfte. Reichte die Breite eines Stammes für eine Figur nicht aus, wurde seitlich weiteres Holz angesetzt, verleimt und mitunter auch mit Holzdübeln befestigt.
Zur Bearbeitung wurde der Holzblock waagerecht in eine sog. Schnitzbank eingespannt. Der Vorteil bestand darin, dass der Bildhauer nun beide Hände frei hatte, und das Werkstück auch problemlos gedreht werden konnte. Nach dem groben Zuhauen der Form mit Beil und Dechsel (Beil mit quer stehender Schneide) folgte die Arbeit mit Stemm- und Hohleisen. Diese Bearbeitungsspuren sind oft rückseitig an Figuren noch zu erkennen. Hatte der Bildhauer eine Figur fertiggestellt, gab er sie an den Fassmaler weiter (für die farbliche ´Fassung´).
Dieser leimte die rohe Holzfläche und brachte mehrere Lagen Grundierung auf (Kreide in sog. Warmleim eingerührt), jeweils zwischendurch geschliffen, ergaben diese zum Schluss einen glatten und gleichmäßigen Überzug. Unebenheiten, Ausbesse-rungen, Anstückungen oder auch Korrekturen wurden damit verborgen. Zusätzlich konnten letzte Feinheiten der Oberflä-chengestaltung, wie Hautfalten oder Adern, herausgearbeitet oder Ausschmückungen, wie Einritzungen/Gravuren, Punzierungen oder andere plastische Formen ausgeführt werden. Neben den reinen Farbaufträgen auf Inkarnat (Hautbereich), Gewandung und anderen Teilen, erlaubten die Metallauflagen vielfältige Effekte. Es kamen Silber, auch Zinn, und vor allem Gold infrage: verschiedene Farben des Goldes, matter oder hoher Glanzgrad, aufgemalte Muster, ferner lasierende Überzüge – meist bei Versilberungen – in Gelb, Rot, Grün oder Blau.
Die Materialien waren kostbar. Neben Gold und Silber gab es ausgesuchte Pigmente, wie z.B. das Blau aus dem Halbedel-stein Azurit, oder das leuchtend rote Mineral Zinnober, das ebenfalls mühsam gemahlen werden musste. Wegen des teuren Materials, abgesehen vom großen Zeitaufwand und der erforderlichen Sorgfalt, war die Summe, mit der die Arbeit dem Fassmaler „verdingt“ wurde, oft höher als das Entgelt des Bildhauers.
Das gesamte Mittelalter hindurch bis zum Beginn der Neuzeit war das Fassen von Holzskulpturen die Regel; ihre endgültige Wirkung bekamen diese erst durch ihre Farbfassung, die weit mehr war als nur ein einfaches „Finish“.
Dem „Kollegen“ Bildhauer war das bewusst; er hat die leichte Nivellierung durch die Grundierung mitberechnet und scharfkantiger geschnitzt als es für eine unbemalte, sog. holzsichtige Figur notwendig gewesen wäre.

Allerdings gab es immer auch einen kleinen Anteil an bewusst holzsichtig gefertigten Werken. Dies beschränkte sich meist auf Kleinteiliges: z.B. Kruzifixe, Medaillons, Reliefs. Sie konnten in Lindenholz gearbeitet werden, doch es wurden intensiv farbigere Obsthölzer bevorzugt. Farbunterschiede wurden dabei auch durch Einsetzen von andersfarbigem Holz erzielt, z.B. bei Brustwarzen; so wie beim Kruzifix Hans Zürn d.J., das im Biberacher Landratsamt hängt. Meist wurden Augen, Lippen und Blutbahnen zusätzlich farbig lasierend angelegt.
Der in diesem Zusammenhang oft angeführte Bildhauer Tilman Riemenschneider (um 1460 – 1531) scheint am Übergang zur Renaissance eine Ausnahme darzustellen; einige seiner Werke waren wohl von vornherein auf Holzsichtigkeit hin angelegt.
Der ungefasste Überlinger Hochaltar taugt dagegen nicht als Fallbeispiel: der Rat der Stadt beschloss die Fassung des Altars am 23.1.1614 und benannte den ausführenden Maler. Wenige Monate später aber widerrief er diesen Beschluss, vermutlich aus Geld- und Zeitmangel; die Weihe des Altares war für den Nikolaustag 1616 festgesetzt.

Gefasste Figuren im Museum

Bei den gefassten Skulpturen finden wir ursprüngliche Fassungen (die sog. Originalfassungen), die so erhalten auf uns gekommen, oder die zwischenzeitlich übermalt und wieder freigelegt worden sind. Auch gibt es komplette Neufassungen.
Eine recht gut erhaltene, originale Fassung weist die Skulptur der Ursula auf, die einen Eindruck ihrer ursprünglichen Schönheit vermittelt – mit vergoldetem Gewand und Mantel und hellem, kühlen Gesichtsinkarnat. Ebenso die beiden Leuchterengel; diese waren zwar zwischenzeitlich übermalt, wurden aber bereits vor ihrem Kauf wieder auf die ursprüngliche Fassung freigelegt. Sie präsentieren sich, wie die Ursula, überwiegend in einer Metallfassung, d.h. die Gewänder sind versilbert (jetzt geschwärzt) und die tunika-artigen Oberteile vergoldet. Sie zeigen weiter helle, kühle Inkarnats-fassungen, die jedoch beim Kauf noch in einem eher „schweinchenrosa“ Farbton übermalt waren und jetzt erst teilweise davon befreit sind.
Richtig frisch und fast bodenständig in seiner Farbigkeit wirkt das einzig profane Werk der Sammlung, das Lüster-“männchen“. Die Fassung ist jüngeren Datums, was bei diesem „Gebrauchsgegenstand“ kaum verwundert, da wegen laufender Verrußung des Öfteren „nachgestrichen“ werden musste; die Grundtönung kann dabei jedoch jedes Mal übernommen worden sein.

Einen wahren „Alptraum“ stellt dagegen der Michael Zürn zugeschriebene kleine Corpus dar. Hier zeigt sich, was passieren kann, wenn sich ein interessierter Laie an die Freilegung eines übermalten Objekts macht: Es wird trocken freigelegt mit einem Skalpell, die spröde alte Farbschicht springt und splittert dabei leicht vom glatten Untergrund ab – hier dem Glanzgold des Lendentuchs. Das Ergebnis ist befriedigend (zum Vorschein kommt die originale Vergoldung), und so wird im Bereich der Fleischfassung weitergearbeitet. Neuere Farbe trennt sich wieder leicht von älterer Farbschicht – nur: die freigelegten Bereiche sind so eigenartig grautonig; die Bearbeitung wird abgebrochen. Wir haben jetzt einen Christuskörper, dessen rechtes Bein und ein Großteil des Oberkörpers bis auf die glänzende, leicht ölige, grautonige Grundierung „freigelegt“ ist, während der Rest die helle und leicht rosatonige Fleischfassung einer Übermalung trägt; im rechten Oberkörperbereich befindet sich eine rechteckige Freilegungsprobe, die hier die originale Fassung zeigt: ein kühles, grünlich getöntes Inkarnat. Fassungstechnisch haben wir eine „Ruine“ vor uns, welche die Entscheidung schwer macht, wie jetzt ein ästhetisch befriedigendes Gesamtergebnis zu erzielen sei.

Aber auch die Abnahme einer Überfassung ist nicht immer das Mittel der Wahl. So käme unter der Überfassung des Grablegechristus keine einigermaßen intakte, ältere Fassung mehr zum Vorschein. Es müssten entweder alle Farbreste abgenommen oder eine neue Fassung aufgebracht werden; beides kann nicht befriedigen.

Heute ungefasste Figuren

Einen großen Teil der Sammlung nehmen die ungefassten Figuren ein.
Wir verdanken sie weitgehend der Ästhetik des 19. Jahr-hunderts, das die sog. „Materialsichtigkeit“ bevorzugte. Großer Beliebtheit erfreuten sich z.B. Statuen aus weißem Marmor mit leicht polierter Oberfläche wie in Antike und Renaissance. In ähnlichem Gedankengang „mussten“ Holzskulpturen von allen vermeintlich störenden Zutaten, sprich Farbe und Grundierung befreit werden, damit die „wahre Linienführung und der Ausdruck des Kunstwerkes sichtbar wurden.“
Das Ergebnis war meist unbefriedigend. Einmal waren die Ablauge- und Abbeizvorgänge sehr rigide, sodass Kratz- und Hiebspuren im Holz verblieben, die Oberfläche stark aufgeraut wurde und Holzfasern abstanden. Ferner lösten sich durch das nasse Ablaugen Verleimungen, so dass separat angesetzte (Klein)Teile wie Finger, Zehen, Zierrat und Applikationen abfielen und meist verloren gingen; auch größere Leimfugen öffneten sich. Zutage kamen ferner konstruktive Vorgänge, wie Anstückungen, Verplattungen oder Reparaturen wie z.B. bei durchstochenen Höhlungen oder Unterschneidungen oder bei ausgestochenen Ästen. Fehler im Holz wurden auf einmal sichtbar: Äste, Verwachsungen, Verfärbungen.
Kurzum: die abgelaugten Figuren boten überwiegend ein jämmerliches Bild, und ihre künstlerische Ausstrahlung war weitgehend verloren. Es blieb nur eine Möglichkeit der Schadensbegrenzung: es wurde eine Neufassung aufgebracht, die in den meisten Fällen weit entfernt vom ursprünglichen Aussehen war, oder ein unterschiedlich stark gefärbter, lasierender Überzug, der die Holzoberfläche beruhigen sollte. In beiden Fällen musste überdeckt werden, was von Anfang an nicht für die Augen des Betrachters gedacht war.

Beim Evangelisten Matthäus und seinem Engel konnte durch Aufbringen eines durchsichtigen Leimüberzuges, der dann poliert wurde, eine leicht glänzende Oberfläche und ein akzeptabler Gesamteindruck erreicht werden. Die Figur des Benedikt zeigt ebenfalls eine gleichmäßige, dunklere Holzoberfläche; sie ist allerdings gewachst worden. Es kommt noch ein weiterer möglicher, unerfreulicher Aspekt nach der Abnahme einer Farbfassung hinzu: die Häufung von Ausflug-löchern des Holzwurms, des Gewöhnlichen Nagekäfers. Diese Beeinträchtigung ist hier allerdings gemäßigt, denn es hätten auch angeschnittene Fraßgänge sichtbar werden können, die dann wie ein Netz die Oberfläche durchziehen und die Form verunklären.
Einen sehr dunklen Überzug – wie „Eiche antik“ – hat der Thronende Christus für ein gleichmäßiges Aussehen erhalten. Hier war die alte Farbfassung knapp zur Hälfte verloren; der noch vorhandene Rest wurde einfach mitüberstrichen.

Die Fassung der großen Figur des Gabriel hat man entfernt. Bei genauerem Hinsehen erkennt man aufstehende Holzfasern, Spuren von Feilen und Kratzwerkzeugen und in den Faltentiefen noch Reste von hellem Kreidegrund.
Breite, senkrechte Trocknungsrisse im engen Obergewand mussten anschließend ausgespänt und die meisten Finger schnitzerisch ergänzt werden. Der Eingriff ging hier noch weiter; man sollte sich diese Figur ursprünglich mit zwei großen Flügeln vorstellen, eingesteckt rückseitig in Höhe der Schulterblätter. Sie sind vermutlich gleichzeitig mit der Farbfassung entfernt worden, um der Figur das sakrale Aussehen zu nehmen, das wohl wenig verkaufsfördernd war.

So zeigt die Zürn-Sammlung nicht nur die feinen Unterschiede im Stil der verschiedenen Bildhauersöhne sondern auch ungewollt die Geschichte des Umgangs mit gefassten Skulpturen.

Die Ausstellung 1998

Den bisherigen Höhepunkt ihrer Wertschätzung in Bad Waldsee erlebten Werke der Bildhauerfamilie Zürn in der sechswöchigen Ausstellung vom 18. April bis 1. Juni 1998, die im Rahmen der Feierlichkeiten zur 700. Wiederkehr der Erhebung Waldsees zur Stadt veranstaltet wurde. Es war ein großes Unterfangen, zu groß – wie viele meinten – für ein kleines, nichtstaatliches Museum in der Provinz. Doch es wurde ein großer Erfolg, auch weil der Kenner dieser Bildhauerfamilie, Claus Zoege von Manteuffel sich engagierte. Er konnte im begleitenden Katalog neue Werke vorstellen und Zuschreibungen aktualisieren. Es wurden vornehmlich Figuren aus der engeren Umgebung bis zu ca. 100 km Entfernung entliehen, natürlich mit Ausnahmen; die große Katharina aus Nürnberg war eine davon.
Bewusst legte Manteuffel den Fokus auf Arbeiten der Frühzeit. Es konnten zwar aus unterschiedlichsten Gründen nicht alle gewünschten Skulpturen ausgeliehen werden, doch es kam eine beachtliche Schau mit nahezu hundert Exponaten zusammen. Sowohl der zur Verfügung stehende Teil des Erdgeschosses wie das ganze 1. Obergeschoss des Kornhauses wurden ausgeräumt und als Ausstellungsfläche verwendet. Es war ein Kraftakt für die Verantwortlichen und die zahlreichen helfenden Mitglieder des Vereins – und das alles überwiegend ehrenamtlich. Doch der Erfolg gab ihnen und der treibenden Kraft, dem damaligen stellvertr. Vorsitzenden Rupert Leser, Recht: ca. 15 000 Besucher aus nah und fern sahen die Ausstellung.
Nicht zuletzt gab dieses Ereignis den letzten „Ruck“ zum Umbau des Erdgeschosses, das heute einen ansprechenden Raum für Wechselausstellungen bietet.

Die Neugestaltung 2013

Nach dem Umbau 2003 ist die Dauerausstellung im 1. Ober-geschoss neu eingerichtet worden, überwiegend gestaltet von René Auer.
Als die Zahl der „Zürns“ zunahm wurde der Platz bald zu eng, eine zusätzliche Fläche wurde freigemacht und Wände groß-zügiger gestellt, um den Figuren mehr Raum zu geben. Das weitere Anwachsen der Sammlung veranlasste den Verein schließlich zu neuer Planung – es waren inzwischen 20 Werke unterschiedlicher Größe zusammen gekommen. Diesmal wurde professioneller Rat eingeholt. Das Konzept von den Museums-gestaltern „Braun & Engels“ aus Ulm überzeugte und wurde mit finanzieller Hilfe der Stadt ausgeführt.
Es wird jetzt ein Versuch mit der Farbe gewagt. Bei den vielen Heiligen und Himmelsboten bot sich ein mittleres Blau für die direkten Hintergrundflächen an, das sowohl für den Begriff „Himmel“ stehen kann als auch ganz irdisch gut zu Gold passt und zu den unterschiedlichsten Holztönen der „ungefassten“ Figuren.
Es ist nicht immer leicht, einen alten Baukörper und eine zeitgemäße Präsentation miteinander zu vereinbaren. Der Charakter des Hauses soll ablesbar bleiben, doch es müssen genügend große Wandflächen vorhanden sein oder geschaffen werden, um die Figuren aussagekräftig zu zeigen. So wird neben den bereits verdeckten Fenstern der Westseite auch das Mittelfenster der Südseite durch ein Wandelement geschlossen. Hier bekommt die Ursula ihren Platz, an dem sie ihre Wirkung sicher besser entfaltet als bisher.

Im Ostfenster informiert ein Leuchtkasten über die Zürn und ihre Werke und teilweise auch über deren ursprünglichen Zusammenhang wie die Altäre im Nikolaus-Münster in Überlingen, die Frauenbergkapelle in Bad Waldsee oder auch die Kanzel in Wasserburg am Inn.
Die Figuren sind jetzt nach vorwiegend ästhetischen Kriterien aufgestellt; dabei wird auf ihre ursprüngliche Wirkung oder Funktion weitgehend Rücksicht genommen. Der große Erzengel Gabriel steht so dass er dem Besucher quasi entgegentritt. Die beiden Leuchterengel bleiben als Paar auf einander bezogen. Der Geweihleuchter, umgangssprachlich als „Lüstermale“ bezeichnet, findet hängend seinen Platz im Eckbereich und überblickt den vor ihm liegenden Raum. Das „Gastgeschenk“ der OEW, das der Landrat als Schirmherr des Jubiläums überreicht, die Hans dem Jüngeren zugeschriebene Muttergottes mit der offenen Haarpracht, lässt sich jetzt rundum betrachten.

Die Vorstandschaft hofft nun, dass die neu gruppierte „Zürn-Truppe“ in ihrer „gelifteten“ und repräsentativen Umgebung zahlreiche, und vielleicht auch viele neue, Besucher begrüßen darf.

Artikel von: Brigitte Hecht-Lang