Kornhaus Bad Waldsee - 10. Mai bis 20. Juli 2025

Laudatio der Kunsthistorikerin Dr. Heiderose Langer bei der Vernissage.

Das den Körper und Geist belebende Atmen wurde uns in die Wiege gelegt. Ein- und Ausatmen verschafft Energie, Konzentration und Ruhe. In der Ausstellung von Johannes Pfeiffer mit dem Titel „Im Atem der Freiheit – Eine künstlerische Reflexion“ korreliert Atmen mit dem Begriff von Freiheit. Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen in Freiheit zu atmen und Lebenskraft aufzunehmen, ein Grundbedürfnis, das ihm im Laufe der Geschichte bis heute immer wieder schmerzlich verwehrt wird und oft ein blutiges Ende gefunden hat bzw. findet.

Die Ausstellung steht in Zusammenhang mit dem 500. Jahrestag des Bauernkrieges, der weite Teile Europas erschüttert hat. Es war ein Kampf um Gerechtigkeit, Mitbestimmung und bessere Lebensbedingungen. So verfassten Bauern in Memmingen im Jahr 1525 ihre „Zwölf Artikel“, in denen sie mehr Freiheit forderten, u. a. die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie die Abschaffung von Frondiensten. Der Bauernkrieg gilt als eine der frühesten Demokratiebewegungen in Deutschland.

Grundlage des künstlerischen Konzeptes von Johannes Pfeiffer, das er für das Museum im Kornhaus erarbeitet hat, ist die raumbezogene Inszenierung eines freien und offenen Dialoges zwischen Außen- und Innenraum, Kunst und Architektur, Geschichte und Gegenwart. In diesem Kontext sind drei ortsspezifische Arbeiten entstanden.
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Vor dem Museum begrüßt die Besucherin / den Besucher eine weitgespannte bis zum Dachfirst reichende Installation aus weißen Schnüren. Dieses Material verwendet Johannes Pfeiffer schon seit vielen Jahren in Innen- und Außenräumen. Es passt sich räumlichen Gegebenheiten an, steht für eine Ästhetik des Flexiblen und damit für ein Sich-offen-Halten verschiedener Formen der Auseinandersetzung und des Agierens mit dem Ort.

Johannes Pfeiffer „zeichnet“ ein kegelförmiges Objekt vor die Fassade des Kornhauses, emporwachsend von einer auf dem Boden verankerten Platte, ebenso könnte man auch von einem nach unten ausstrahlendem Verlauf sprechen. Dem einfachen und klaren Formgebilde ist ein weit geöffneter assoziativer Raum inhärent: zu denken ist an gebündeltes Sonnenlicht, das magisch in den Raum leuchtet oder an einen fortwährenden imaginären Bewegungsfluss vergleichbar einem erhellenden Strom der Gedanken. Stofflichkeit, Sichtbarkeit sowie Körperlichkeit definieren das geometrische Formgebilde ebenso wie Leichtigkeit, Leuchtkraft und Transparenz. Diese Verbindung von Materiellem und Immateriellem ist als Aufforderung zu verstehen, auch dem Spirituellen, dem Geistigen Raum zu geben.

Neben den zum belebten Teil der Natur gehörenden Vorstellungsbildern des Wachsens und Strömens rücken auch die ordnende künstlerische Einflussnahme und durchdachte technische Lenkung wie auch Kontrolle der Formkonstruktion in den Fokus der Wahrnehmung. Beides miteinander in eine Balance zu bringen, liegt seinem ästhetischen Denken zugrunde.

Als Metapher für Verbindung und Verknüpfung, wie in der gerade besprochenen Fadenarbeit, sowie als Metapher für Verstricktes und Vernetztes spielen Fäden als Werkstoff in seinem Werk – wie im Übrigen auch in der jüngeren Kunstgeschichte – eine wichtige Rolle. Von der Linie, also dem Faden, zur Fläche, dem Gewebe, führt der Weg zum Stoff, der sich durch Zuschnitt, Faltung oder Nähen zu einem dreidimensionalen Gebilde entwickelt. Stoffe-Johannes Pfeiffer benutzt in dieser Ausstellung u.a. Fallschirmseide – besitzen Eigenschaften wie Durchlässigkeit, Formbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Auch die Möglichkeit auf etwas Anderes zu reagieren, sei es einen Körper oder räumliche Situationen, macht das textile Material für den Künstler zu einem Experimentierfeld für dialogische Methoden und denkerische Prozesse.

Im Atem der Freiheit
Ein weißer Stoff durchzieht in sanften Wellenverläufen wie eine vom Wind bewegte Meeresoberfläche die Längsachse des gesamten Ausstellungsraumes im Erdgeschoss und simuliert mittels Ventilatoren den lebenserhaltenden Prozess des Ein- und Ausatmens. Zu beobachten ist die Verwandlung des Stoffes von einem Zustand der Ruhe und Unbeweglichkeit, wenn die Energiequelle ausgeschaltet bzw. unterbrochen ist, in einen schwebend-leichten Bewegungsfluss. Der gesteuerte Luftstrom formt den Stoff zu einer Art „Luftröhre“. Fragilität und Flüchtigkeit aller Erscheinungen und Zustände werden ebenso wahrnehmbar wie die unstillbare menschliche Sehnsucht nach Beständigkeit und Dauer.

Die inszenierte Interaktion zwischen Stoff, Luft und Raum kann auch als ein metaphorisches Bild für den ewigen Fluss der Zeit, als ein Bild der ständigen Wiederkehr von Ereignissen verstanden werden. Der historische Innenraum wird so zum Resonanzraum einer künstlerischen Intervention, die elementare Bedürfnisse menschlicher Identität und Wirklichkeit fokussiert. Der Farbe Weiß kommt dabei eine zentrale symbolische Bedeutung zu.

Die Farbe Weiß
Beide Etagen, das EG und 1.OG, werden durch die Verwendung des weißen Stoffes in Beziehung zueinander gesetzt. Die Farbe Weiß lädt den Raum mit Energie, Licht und Stille auf. Weiß steht für Reinheit und Klarheit. Sie ist die am meisten strahlende und intensivste Farbe; dem Licht am nächsten stehend wirkt sie leicht und immateriell. Schon die Zero-Künstler, eine Künstlergruppe, die sich Ende der 1950er Jahre zusammenschloss und der psychogrammartigen Destruktion der Form in der informellen Malerei eine positive, innovative und in die Zukunft orientierte Kunst entgegensetzten, favorisierten die Farbe Weiß und verbanden eine gesellschaftliche Utopie mit ihr. “Ich habe mich für eine weiße Zone entschieden als Höhepunkt des Lichts, als Triumph über das Dunkel“, mit diesen Worten formuliert Günther Uecker 1961 den ethischen Anspruch seiner Kunst. Und er fährt fort: „Eine weiße Welt ist, glaube ich, eine humane Welt, in der der Mensch seine farbige Existenz erfährt, in der er lebendig sein kann (…). Weiß ist für mich der geistige Raum, in seiner Artikulation kann er ein spirituelles Erlebnis sein.“

Einen weiteren Aspekt akzentuiert Jean Baudrillard in seinem Buch „Das System der Dinge“. „Die weiße Farbe „dominiert vor allem im ´organischen´ Sektor, ist clean, unschuldig, rein (…). Alles mit dem Körper in inniger Berührung Stehende ist seit Generationen dieser chirurgischen, jungfräulichen Farbe überlassen, die den Körper vor seinen eigenen gefährlichen Kontakten abschirmt.“

Il tempo passa II
Johannes Pfeiffer wendet sich im 1. Obergeschoß der Figur zu. Mit weißem Stoff umwickelt er drei der hier ausgestellten Holzskulpturen aus dem 17. Jahrhundert: Erzengel Gabriel, Matthäus mit Engel und Thronender Christus. Es handelt sich um Skulpturen der Bad Waldseer Bildhauerfamilie Zürn, die in einer Dauerausstellung präsentiert werden. Sie zeugen von deren großartigem bildhauerischen Können. Mit ihren sechs Söhnen gehörten sie zu den Wegbereitern des Barocks von Oberschwaben aus bis ins südliche Bayern und Österreich. Außerdem umhüllt er eine Marmorskulptur von Constantin Dausch aus dem Jahr 1898. Durch den Eingriff des Umhüllens, der sehr vorsichtig vorgenommen wurde, erfahren die Skulpturen – so paradox das klingen mag – eine „Sichtschärfung“. Zwar werden die Figuren unserem direkten Blick entzogen, doch wenn man sich Zeit lässt und genau schaut, sind die Konturen und Volumen und so die Körperformen sowie ihr Ausdruck mit den Augen zu ertasten. Ihre fließenden Bewegungen, rundgeschwungenen Formen, raumgreifenden Gesten sowie die Stofflichkeit der gefalteten Gewänder sind erahnbar, ebenso theatralische Gesten und Emotionen. In der Vorstellung des Betrachters können sie eine neue Gestalt annehmen. Für Johannes Pfeiffer ist das Verhüllen, wie er sagt, „ein Akt der Verdrängung, der auf Dauer dazu führt, dass Gefühle und Emotionen plötzlich wieder stärker zum Vorschein kommen“.

Die historische Skulptur dringt so immer mehr in den Raum der zeitgenössischen Betrachterin / des Betrachters ein und wird zu einem gesprächigen Gegenüber. Dem Barock, dieser Epoche der Widersprüche und des Übermaßes, steht die klare und reduzierte Konzeptualität des künstlerischen Handelns von Johannes Pfeiffer gegenüber. Zwei Wirklichkeiten, einerseits die historisch verankerte, körperhaft-schwere Präsenz der Skulpturen, ihre scheinbar unverwüstliche Materialität und Expressivität, und andererseits ein minimaler, auf Leichtigkeit, Transparenz und temporäre Begrenzung rekurrierender Eingriff von Johannes Pfeiffer treffen aufeinander, damit auch unterschiedliche Zeiten, Inhalte und künstlerische Haltungen.

Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Beobachtung des wie bandagiert erscheinenden Körpers und seine verborgenen Bewegungen, auf seine Verletzlichkeit. Und sie richtet sich auch auf Gegensätze wie Körper und Geist, Materialität und Immaterialität, Rationalität und Gefühl, Gegensätze, die unsere abendländische Denktradition bestimmen. Diese konträren Denkprinzipien betrachtet der Künstler als sich ergänzende Erkenntnisformen. Auch Dualitäten unseres Lebens wie Anwesenheit und Flüchtigkeit, Stabilität und Verletzlichkeit, Vergänglichkeit und Erneuerung treten in seinen Installationen miteinander in einen Austausch. Es sind Bausteine, die Welt erzeugen, vielleicht die Utopie einer humanen Welt, sicher, frei und offen, in der das eine ohne das andere nicht vorstellbar ist.

Johannes Pfeiffers Ausstellung im Museum für Kunst und Kultur ermöglicht es der Betrachterin / dem Betrachter in sinnlich erlebbaren Raumbildern die Komplexität und Ambivalenz unserer menschlichen Existenz zu erkennen, zu reflektieren und zugleich mit den Mitteln der Kunst ihre Klarheit und Schönheit, Stille und Leichtigkeit zu erleben, so auch in den sog. Blindzeichnungen.

Blindzeichnungen
Es handelt sich um spontane („blind“, also mit geschlossenen Augen) gesetzte gestische Notationen in schwarzer Acrylfarbe, die zwischen abstrakten und gegenständlichen Bildzeichen changieren. Basierend auf einem Schwarz-Weiß-Kontrast machen die Zeichnungen – bewusst oder unbewusst – körperliche wie auch geistige Erfahrungen sichtbar. Sie verstehen sich als Artikulationen künstlerischer Freiheit der ständigen Neuschöpfung von räumlichen und figürlichen Beziehungen, narrativen Momenten und architektonischen Formelementen, die auch zu universellen Zeichen werden können. Die Zeichnungen enthalten neue Ideen und Kombinationen aus persönlichen Erinnerungen wie auch Assoziationen verbunden mit dem Verzicht auf Absichtlichkeit und Sinnkontrolle.

Im kleinen Format der Zeichnung wie auch in seinen Rauminstallationen transformiert der Künstler verschiedene Räume in eine Art Bühne, auf der Begegnungen stattfinden und Zeichen gesetzt werden. Es geht ihm um die Verortung des Ichs und letztlich um Weltverknüpfung. Man muss wissen: Johannes Pfeiffer ist nicht nur ein Innenweltreisender sondern auch ein Reisender, der immer in einem Dialog mit der Welt steht und überall – zuletzt in Indien – seine künstlerischen Spuren hinterlässt. Auf seinen Bühnen entwirft er Sinn-Bilder, die das Gedachte und Gefühlte sowie menschliche, philosophische wie auch gesellschaftliche Zustände und Erscheinungen immer in Korrelation mit dem jeweiligen Ort zum Thema haben. Dabei begreift er die Rolle der Kunst als Quelle von Menschlichkeit, Verständigung und Freiheit.

Dies zu entdecken, wird Ihnen, meine Damen und Herren, sicherlich Freude bereiten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. Heiderose Langer